Eine Antwort auf diese zentrale Frage fällt mir sofort ein: Mit Sicherheit nicht durch das Abarbeiten der Seiten im Rechenbuch!
Auch das bloße Erklären hilft Kindern nicht weiter. Das ist, als wolle man mit einem Trichter das Kinderhirn von außen befüllen. Natürlich müssen Fragen beantwortet werden, aber das ist etwas ganz anderes als „nur“ erklären.
So geht’s gewiss nicht, denn:
„Kinder sind keine Fässer, die gefüllt , sondern Feuer, die entzündet werden wollen.“
(Francois Rabelais)
Wie sollen wir den Kindern denn dann etwas beibringen?
Falsche Frage:
WIR bringen den Kindern gar nichts bei! Die Kinder müssen SELBER die nötigen Schritte gehen. Deine Aufgabe als Lehrerin oder Elternteil ist es nur, den Kindern die GELEGENHEIT dazu zu verschaffen. Das wiederum erfordert von dir
- die Bereitschaft, dich mit deinem Kind oder Schüler interessiert zu befassen
- die Bereitschaft, dich ein wenig zu informieren – soviel ist das gar nicht
- die Offenheit, Lernen etwas anders zu sehen als üblich
- die geringe Mühe, passendes Material bereit zu stellen
- den geringen Zeitaufwand, gelegentlich mit deinem Kind zu spielen
Wenn dir das jetzt etwas zu theoretisch vorkommt, dann schauen wir uns das doch einmal genauer an.
Was du ganz konkret tun kannst
Dich für dein Kind interessieren heißt auch zu akzeptieren, dass du manche Dinge nicht einfach „outsorcen“ kannst. Wenn du glaubst, es genüge, dein Kind in irgendeine Fördergruppe, Nachhilfe oder Was-auch-immer-Betreuung zu schicken, dann wirst du außer der Tatsache, dass das ein deutliches Loch in dein Budget reißt, nicht besonders viel merken.
Du kommst um deine eigene Einbindung in den Entwicklungsprozess deines Kindes nicht herum. Und das ist etwas ganz anderes als zu Hause einfach nur als Nachhilfelehrerin zu fungieren. Wenn du dagegen etwas hast, ist das sehr verständlich. Aber davon ist hier nicht die Rede.
Dich interessieren bedeutet natürlich auch, dass du dich informierst, was nicht heißen soll, dass du dich nun in das Studium von Fachbüchern vertiefen sollst. Alleine die Tatsache, dass du auf dieser Seite unterwegs bist, ist ja bereits der Beweis dafür, dass du das tust – nämlich dich informieren.
Lernen ist viel mehr als nur das Ausfüllen von Arbeitsblättern. Von dieser Vorstellung solltest du dich lösen, falls du sie je gehabt haben solltest.
Für eigene Aktivitäten brauchen Kinder geeignetes Material. Beispiele dafür bekommst du im Beitrag über Rechenspiele.
Und dann ist es natürlich für den Erfolg absolut entscheidend, dass du dich auch selber einbringst: zum Mitspielen und als Gesprächspartnerin.
Hier kommen einige konkrete Möglichkeiten. Wenn du dich zuerst über theoretische neurologische Hintergründe informieren möchtest, dann beginnst du am besten mit dem dritten Teil dieser Reihe.
Handeln führt zum Begreifen
Rechnen lernt man nicht durch das Ausfüllen von Arbeitsblättern und auch nicht durch bloßes Erklären. Das hatten wir schon.
Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer beschreibt in seinem Buch „Lernen“, wie das bei Kindern vor der Pubertät funktioniert:
Hier seht ihr Tom und Lisa. Die beiden sind lernfreudig und wollen gerne verstehen, was die Erwachsenen da mit den Zahlen so machen. Sehr schnell können sie die Zahlenreihe bis 10 aufsagen, aber das alleine heißt ja noch gar nichts. Die Mama aber hat das Buch von Spitzer gelesen und weiß, was sie machen kann. Dort steht nämlich, dass Kinder etwas nur dadurch lernen, dass sie die Gelegenheit bekommen, es oft und oft selber zu tun, bis sie merken: Da gibt es ja ein System! Das ist immer das Gleiche!
Die Mama macht nun mit den Kindern ein Würfelspiel, damit sie verstehen, was es mit dem Vorwärts und Rückwärts der Zahlenreihe auf sich hat.
Räuber und Goldschatz – das Spiel
Die Anregung zu diesem Spiel stammt von Wittmann und Müller, den Autoren des Zahlenbuches.
Und das ist die Geschichte:
Im Wald wohnen zwei Räuber: Rotbart und Schwarzbart. Jeder hat eine Höhle und zwischen ihren Höhlen gibt es einen Weg aus Pflastersteinen. Weil sie Freunde sind, besuchen sie sich oft. Eines Tages sind sie zufällig gerade beide auf dem Weg unterwegs. Da sehen sie, dass auf einem Pflasterstein (mit der Nummer 10) ein Säckchen Gold (eine gelbe Spielfigur) liegt. Schwarzbart schreit: „Das gehört mir“ Ich hab’s zuerst gesehen!“
„Kommt ja gar nicht in Frage!“, brüllt Rotbart zurück. „Das war ich! Und außerdem liegt das Gold näher bei meiner Höhle als bei deiner!“
Es kommt fast zu einer Prügelei. Aber dann fällt Schwarzbart eine Lösung ein. Zufällig hat er einen Würfel in der Tasche, denn er macht im Wirtshaus gerne Würfelspiele.
Er schlägt vor: „Wir würfeln abwechselnd. Bei meinem Wurf rückt der Schatz näher zu mir, wenn du würfelst, rückt er näher zu dir und es bekommt ihn der, der den Schatz in seine Höhle hineinwürfeln kann.“
Genauso machen es die beiden und die Sache endet friedlich.
Was lernen die Kinder daraus?
Das Aufsagen einer Zahlenreihe bedeutet nicht, dass Kinder eine Idee von der Bedeutung dieser Zahlenreihe haben. Jede Zahl hat ihren Platz und wenn man um eins weitergeht, dann steht da eine nächste Zahl, auch wieder auf ihrem festen Platz. Das Verständnis dieser Ordnung ist nicht „einfach da“.
Mit dieser Ordnung müssen die Kinder viele Erfahrungen machen, bis sie sie be-greifen.
Eine sehr einfache und wirkungsvolle Methode ist ein Würfelspiel, bei dem auf dem Spielfeld genau so viele Schritte gemacht werden, wie der Würfel anzeigt. Dieses Zählen, bei dem jede Zahl mit einem Schritt auf der Zahlenreihe verbunden ist, führt auch im Gehirn zu einer Verbindung. Dann ist die Zahlenreihe nicht einfach eine Folge von mehr oder weniger bedeutungsvollen Worten, sondern sie gewinnt Bedeutung und Sinn.
Und wenn diese Erfahrung – Zählen mit Verstand und konkreter Bedeutung – oft gemacht wird, dann bildet sich das heraus, was wir als Verinnerlichen einer mathematischen Gesetzmäßigkeit bezeichnen.
Für dieses Thema – Begreifen der ordinalen Zahlenreihe – gibt es weitere Spiele, die in einem eigenen Beitrag vorgestellt werden.
Hier ging es mir darum, dir den Sinn eines so einfachen Spieles zu vermitteln, wie es das Würfeln entlang einer Zahlenreihe ist.
Weitere Spielideen zum Würfeln auf der Zahlenreihe
- Du kannst den Zahlenweg verkleinern, z.B. auf 11 oder 15 und dann die Spielfigur exakt in die Mitte stellen.
- Statt eines Goldschatzes kann gewürfelt werden um eine Arbeitsleistung: Wer trägt den Müll hinaus?
- Es kann eine andere Geschichte erzählt werden, z.B. von einer Prinzessin, die sich im Wald verirrt hat. Sie sitzt weinend auf einem Stein und der Prinz und ein Räuber würfeln darum, wer sie mitnehmen darf.
- Es kann eine doppelte Zahlenreihe aufgezeichnet werden, zwei – oder auch mehr – Wege von 1 bis 20 nebeneinander und die Spieler starten, jeder auf seinem eigenen Weg. Reihum wird gewürfelt. Wer ist zuerst am Ziel?