Es ist eine bekannte Tatsache: In der dritten Klasse der Grundschule werden nicht selten plötzlich sogenannte Rechenstörungen evident, von denen vorher keiner was merkte. Wie kann es so etwas geben?
Die Erklärung ist zwar einfach, aber keineswegs befriedigend: Das betreffende Kind kam bisher mit Auswendiglernen und Ersatzstrategien zurecht. Das geht allerdings nur, wenn Lehrer sich mit einem Ergebnis abspeisen lassen, das vordergründig „richtig“ ausschaut, aber nicht nachprüfen, wie dieses „richtige“ Ergebnis zustande gekommen ist.
Für Kinder, die in einem Unterricht sitzen, den sie über weite Strecken nicht verstehen, heißt die Devise nicht „lernen, verstehen und denken“, sondern einzig und allein „möglichst unbehelligt durchkommen, egal wie“.
Und es ist geradezu bewundernswert, wie kreativ vorgegangen wird, um herauszubekommen, was „sie“ – nämlich die Lehrerin – von einem hören möchte.
Ich hab zwar keine Ahnung, warum, aber immer, wenn ich da „7“ hinschreibe, freut sie sich!
Es liegt auf der Hand, dass die Mogelstrategien der 1. und 2. Klasse an ihre Grenzen stoßen, wenn der Zahlenraum größer wird.
Wo fängt man am besten an?
Ich übernahm vor Jahren eine dritte Klasse mit 29 Kindern, von denen nur einige wenige im Rechnen fit waren. Sechs von meinen Schülern hatten überhaupt keine Ahnung von der Systematik der Zahlenwelt und knappe 20 Schüler wurstelten sich lieblos und nur mit bruchstückhaftem Verständnis durch das Rechenpensum.
Die Lehrerin, die diese Kinder in der 1. und 2. Klasse gehabt hatten, war engagiert und fleißig. Sie hatte ihr Bestes gegeben, aber sie machte – noch dazu als Berufseinsteigerin – das, was absolut verständlich, aber genauso absolut nicht zielführend ist: Sie arbeitete „brav“ das Rechenbuch durch im Vertrauen darauf, dass dieses Buch als Wegweiser genügen müsse.
Dieser Glaube daran, dass Lehrplan und Schulbücher einem schon zeigen, was zu tun ist, sollte aus den Lehrerköpfen verschwinden.
Beides kann nützlich sein, wenn es wohldosiert und immer in Relation zur Schulwirklichkeit verwendet wird.
Im Klartext: Manchmal brauchen unsere Schüler sehr viel mehr Übungsmöglichkeiten als in Buch oder Arbeitsheft vorgesehen und sehr oft brauchen sie eine andere Herangehensweise.
Das Be-Greifen gelingt nur, wenn wir sie schrittweise vom Konkreten zum Abstrakten führen und ihnen so eine Lernumgebung bieten, in der sie die Chance haben zu verstehen und selbst hinter Gesetzmäßigkeiten zu kommen.
Und wenn Kinder schon in der dritten Klasse sind, dann wird es allerhöchste Zeit, ihnen die Grundlagen zu vermitteln, ohne die einfach nichts läuft. Es ist fünf vor zwölf, aber noch ist es zu schaffen!