Sachrechnen

Anna kauft sich eine Puppe

Beim Bearbeiten von Sachaufgaben verlieren sich manche Kinder in geradezu abenteuerlichen Konstrukten.
Ein Beispiel dafür, wie ein völlig orientierungsloses Kind an einer Aufgabe scheitert, ist in einem sehr lesenswerten Aufsatz von Eva Berendes zitiert:

Anna möchte sich eine Puppe kaufen. Seit einigen Monaten spart sie von ihrem Taschengeld regelmäßig und wirft Geld in ihre Spardose. Die Puppe, die sie sich ausgesucht hat, kostet 33 €. Im Sparschwein befinden sich inzwischen 24 €.

Das ist eine Aufgabe aus der 3. Klasse.
Das Kind aus dem zitierten Beispiel soll nun eine Rechenfrage finden. Dieser didaktische Schritt Finden einer Rechenfrage wird durchaus kontrovers diskutiert.
Ich finde, wir Lehrer sollten uns hier wieder die Frage stellen: Will ich ein Sprachtraining oder ein Denk- und Rechentraining?

Meine didaktische Absicht an dieser Stelle heißt: Denk- und Rechentraining.
Also plädiere ich dafür, die Kinder nicht gedanklich herumirren zu lassen, sondern ihnen eine klare Frage zu stellen, damit sie sich auf die Problemlösung konzentrieren können.
Die Lehrerin unseres Schülers war wohl anderer didaktischer Auffassung und verlangte von den Kindern das Formulieren einer Rechenfrage.
Und was kam in unserem Beispiel heraus?

Rechenfrage: Wie viel Geld möchte sich Anna kaufen?

Spätestens an dieser Stelle wäre eine didaktische Vollbremsung angesagt, denn offensichtlich hat unser Schüler null Peilung, was hier überhaupt verlangt wird.
Doch offensichtlich kam es dazu nicht und es wurde weiter gerechnet:

33 + 24 = 37

Jetzt sehen wir auch, dass nicht nur das Verständnis des Sachverhalts, sondern auch das Rechnen im Stellenwertsystem unserem Schüler völlig unzugänglich ist.
Er hat die vier Einer zu den drei Einern dazugezählt und die Zehner einfach vom ersten Summanden übernommen. Weniger Orientierung geht kaum!
Und das ist jetzt nicht irgendein exotisches und künstlich erzeugtes Demo-Produkt, das ist in vielen Klassen der mathematische Alltag!
Jetzt fehlt uns nur noch die Antwort, die der Schüler formulieren soll. Und hier ist keine Spur davon, dass diese Antwort sich auf die Rechenfrage bezieht. Diese Rückkoppelung, die bei einer Sachaufgabe äußerst wichtig ist, scheint unserem Schüler völlig fremd.
Hier seine Antwort:

Antwort: Anna spielt mit ihrer Puppe.

Wenn solch eine Bearbeitung in einem Rechenunterricht vorkommt, kann das nur eines heißen: Alles auf Anfang. Wir drücken den Reset-Knopf und versuchen, das Ganze noch einmal didaktisch sinnvoll anzugehen.

Erster Schritt:

Was passiert in dieser Rechengeschichte?

Wir haben Anna:

Anna kann ein laminiertes Bild sein, das wir mit einem Magnetaufkleber versehen und an die Tafel pinnen.
Sie kann auch eine Playmobilfigur sein. Wichtig ist, dass Anna beweglich ist, damit wir mit ihr echt agieren können.

Wir wissen, dass Anna so gerne eine bestimmte Puppe hätte:

Auch Puppe und Preisschild können an die Tafel gepinnt oder zu dem Bild am Boden gelegt werden. Eine leere Denkblase könnte gemeinsam beschriftet werden.

Und wir wissen noch etwas: Anna besitzt ein Sparschwein, in dem sich schon 24 Euro befinden:

Jetzt ist die Szenerie vollständig. Gemeinsam kann überlegt werden, wie Anna zu der Puppe kommen kann.

Und das ist dann auch unsere Rechenfrage:

Wieviel Geld fehlt Anna noch?

Zweiter Schritt:

Wir überlegen schrittweise.

Die mathematische Struktur dieser Aufgabe: Eine Teile-Ganzes-Beziehung.

Soviel Geld braucht Anna für den Kauf der Puppe.

Soviel Geld hat sie erst.

Dritter Schritt:

Und nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, zu einem Ergebnis zu kommen:

Fangen wir mit der elegantesten an, zu der diese Skizze passt:

Durch diese Skizze wird die Teile-Ganzes-Beziehung dargestellt:
Dazu passen zwei Gleichungen
:

Es ist aber durchaus auch sinnvoll, die beiden Geldbeträge einander gegenüberzustellen und von dem niedrigen Betrag (24 €) zum gewünschten Betrag (33€) hochzuzählen.
Wenn du bei dem Wort „zählen“ zurückschreckst und dir denkst „zählen – bloß nicht“, dann hast du die Unterscheidung zwischen dämlichem Zählen (unbedingt zu vermeiden!) und klugem, strukturiertem Zählen (empfehlenswert, um Strukturen sichtbar zu machen!) noch nicht wahrgenommen, und das ist auch kein Wunder. Denn hier wird für gewöhnlich alles Mögliche ziemlich wenig reflektiert in einen Topf geworfen. Aber das ist ein eigenes Thema.
Jetzt lass uns erst einmal klug hochzählen:

Zu den 24 Euro legen wir 6 Euro dazu, wir füllen also zum nächsten Zehner auf.

Die passende Rechnung: 24 € + 6 € = 30 €

Nun wissen wir bald, wieviel Geld uns noch fehlt:

30 € + 3 € = 33 €

Betrachten wir das Ganze:

Im ersten Schritt haben wir 6 Euro dazugezählt,
im zweiten Schritt waren es 3 Euro.
Zusammen sind das also 9 Euro.

Vierter Schritt: Die Antwort:

Anna braucht noch 9 Euro.

oder

Wenn Anna 9 Euro mehr hätte, könnte sie die Puppe kaufen.

Das waren einige Anregungen, um diese Aufgabe für alle Kinder be-greifbar zu machen.
Eine weitere Möglichkeit der Veranschaulichung wäre es auch, die beiden Geldbeträge an der Tafel in zwei Spalten einander gegenüberzustellen und dann zu ergänzen.
Auch ein Rollenspiel zum Kauf der Puppe wäre denkbar.
Und dass die Kinder in ihr Heft ganz verschiedene Skizzen zeichnen, ist auch selbstverständlich und natürlich auch erwünscht:
Zunächst werden einige Kinder noch sehr konkret und ausgeschmückt malen, aber das wird sich im Lauf der Zeit ändern und die Skizzen werden sich immer mehr auf das Wesentliche beschränken.
Das geht bei manchen Kindern schneller, bei anderen dauert es etwas. Beides ist in Ordnung.
Wichtig ist, dass alle Kinder verstehen, was sie tun. Und das wirst du bei dieser Herangehensweise erreichen.